Insel und Meer

Ein Ort zieht uns wie kein anderer in seinen Bann
Die Insel
Seit jeher ist sie Ziel unserer ersehnten wie tatsächlichen Reisen,
eine Welt für sich,
in der das Wasser ringsherum Maß aller Dinge ist.
Die Insel ist nicht nur ein Haufen Sand,
umgeben von Wasser,
es ist ein Ort der Sehnsucht,
der Ort der Freiheit,
der Ort der Fantasie.
Damit ist die Insel unendlich groß,
viel größer als nur die Fläche die wir sehen können.

 

 

Du Insel der Zeit,
streich durch die Termine,
leg still alle Pläne,
halt an meine Uhren,
mach zeitlos die Zeit.

Du Insel der Ruhe,
schenk langsame Schritte,
dämpf Atem und Herzschlag,
gib Pause dem Denken,
lass schweigen den Mund.

Du Insel der Träume,
befreie von Fesseln,
beleuchte das Dunkel,
mach größer das Kleine,
zeig auf neue Wege.

Du Insel der Hoffnung,
vertreib trübe Nebel,
stärk Rücken und Meinung,
verwandle den Kleinmut,
schalt ein grüne Welle.

Du Insel der Einkehr,
bring Ordnung den Wünschen,
führ Wege zur Mitte,
schenk Nähe zum Schöpfer,
wirf Anker dem Glauben.

Du Insel im Meer,
du Insel im Land,
du Insel im Menschen,
lass dich finden...

U.Bittner

 

 

Lieder von einer Insel
(1954)

Wenn einer fortgeht, muss er den Hut
mit den Muscheln, die er sommerüber
gesammelt hat, ins Meer werfen
und fahren mit wehendem Haar,
er muss den Tisch, den er seiner Liebe
deckte, ins Meer stürzen,
er muss den Rest des Weins,
der im Glas blieb, ins Meer schütten,
er muss den Fischen sein Brot geben
und einen Tropfen Blut ins Meer mischen,
er muss sein Messer gut in die Wellen treiben
und seinen Schuh versenken,
Herz, Anker und Kreuz,
und fahren mit wehendem Haar!
Dann wird er wiederkommen.
Wann?
Frag nicht.
...
(Ingeborg Bachmann)

 

 

Der Augenblick ist eine Welle
im unwandelbaren Meer der Zeit.
Andreas Tenzer, in: Karl Piepenbrock, Gedankensplitter

Der Fluss setzt seinen Weg zum Meer fort, ob das Rad der Mühle gebrochen ist oder nicht.
Khalil Gibran, Sämtliche Werke

Die kleinste Bewegung ist für die ganze Natur von Bedeutung; das ganze Meer verändert sich, wenn ein Stein hineingeworfen wird.
Blaise Pascal, Gedanken

Es ist nicht das Schiff, das durch das Schmieden der Nägel und Sägen der Bretter entsteht. Vielmehr entsteht das Schmieden der Nägel und Sägen der Bretter aus dem Drang nach dem Meere und dem Wachsen des Schiffes.
Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste, Citadelle

Ich brauche vor allem einen, der sich wie ein Fenster aufs Meer hin öffnet, nicht aber einen Spiegel, vor dem ich mich langweile.
Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste, Citadelle

Manche Dinge sehen wir nur, wenn wir das Meer überqueren und nehmen sie nicht zur Kenntnis, wenn wir sie stets vor Augen haben.
Lateinische Lebensweisheiten, Autor und Quelle: siehe Quellenangabe

Wenn du dir eine Perle wünschest,  such sie nicht in einer Wasserlache.
Denn wer Perlen finden will,  muss bis zum Grund des Meeres tauchen.
Rumi, Das Lied der Liebe
            
Wer den Weg nicht kennt, auf dem er zum Meer gelangen kann,
der sollte sich einen Fluss als Begleiter suchen.
Lateinische Lebensweisheiten, Autor und Quelle: siehe Quellenangabe

 

 

Aufbruch

Wenn dein Boot,

seit langem im Hafen vor Anker,

dir den Anschein

einer Behausung erweckt,

wenn dein Boot

Wurzeln zu schlagen beginnt

in der Unbeweglichkeit des Kais:

Suche das Weite.

Um jeden Preis müssen

die reiselustigen Seelen deines Bootes

und deine Pilgerreise

bewahrt bleiben

DOM HELDER CAMARA

Wenn ich ganz still bin

Wenn ich ganz still bin
kann ich von meinem bett aus
das meer rauschen hören
es genügt aber nicht ganz still zu sein
ich muss auch meine gedanken vom land abziehen

Es genügt nicht die gedanken vom festland abzuziehen
ich muss auch das atmen dem meer anpassen
weil ich beim einatmen weniger höre

Es genügt nicht den atem dem meer anzupassen
ich muss auch händen und füßen die ungeduld nehmen

Es genügt nicht hände und füße zu besänftigen
ich muss auch die bilder von mir weggeben

es genügt nicht die bilder wegzugeben
ich muss auch das müssen lassen

Es genügt nicht das müssen zu lassen
solange ich das ich nicht verlasse

Es genügt nicht das ich zu lassen
ich lerne das fallen

Es genügt nicht zu fallen
aber während ich falle
und mir entsinke
höre ich auf
das meer zu suchen
weil das meer nun
von der küste heraufgekommen
und in mein zimmer getreten
um mich ist

Wenn ich ganz still bin

 

Dorothee Sölle

Entnommen aus: Verstehen durch Stille, Loccumer Brevier, Lutherisches Verlagshaus GmbH, Hannover 2001, 26.

 

Meerblick - tiefer

Touristen, die spazieren gehen - was bewegt sie?

Kinder, die Burgen bauen - was durchleben sie?

Gäste, die Volleyball spielen - was bejubeln sie?

Insulaner, die ihr Geld verdienen  - was meistern sie?

Urlauber, die ihre Lektüre lesen - was finden sie?

Wolken, die über die Insel ziehen - was treibt sie?

Sonne, die ihr Strahlen zeigt - was erwärmt sie?

Wellen, die sich brechen - was erzählen sie?

Schiffe, die sich in der Ferne zeigen - was fahren sie?

Meer - was erlebst du?

       

(Egbert Schlotmann)

 

Meer, diesiger Himmel, die
Schreie des Regenpfeifers,
man sagt, du bist tot, Gott,
hier glaub ich`s, bei leeren Netzen,
du kommst nicht mehr übers Wasser,
wir müssen den Fisch ohne dich essen,
trocken das Brot der Fünftausend –
warum nur mustere ich die frischen
Spuren im Sand, unruhig, als wärest
du
eben vorübergegangen? 
                               

                             Rudolf Otto Wiemer

 

Meer
Wenn man ans Meer kommt
soll man zu schweigen beginnen
bei den letzten Grashalmen
soll man den Faden verlieren
und den Salzschaum
und das scharfe Zischen des Windes einatmen
und ausatmen
und wieder einatmen
Wenn man den Sand sägen hört
und das Schlurfen der kleinen Steine
in langen Wellen
soll man aufhören zu sollen
und nichts mehr wollen wollen nur Meer
Nur Meer

                                             Erich Fried

 

Als Feuer und Wasser sich das erste Mal begegneten, waren sie voneinander fasziniert. Das Feuer war ungestüm und temperamentvoll, leuchtend und heiß, brodelnd und aufregend. Das Wasser hingegen floss ausgeglichen vor sich hin, war klar und beruhigend, glitzernd und erfrischend. Staunend betrachteten sich Feuer und Wasser. Beide entdeckten am anderen unzählige Eigenschaften und Besonderheiten, die sie an sich nicht kannten. Und da sich Gegensätze bekanntlich anziehen, blieb es nicht aus, dass sich Feuer und Wasser ineinander verliebten. Sie trafen sich, hatten Spaß miteinander, lernten voneinander und ergänzten sich wunderbar. Weil sie sich gegenseitig so kostbar geworden waren, beschlossen Feuer und Wasser, für immer zusammenzubleiben. Sie feierten ein großes Fest. Viele Gäste waren geladen – auch der Wind. Der schenkte ihnen eine bauchige Flasche mit wertvollem Inhalt. Nach der Feier öffneten Feuer und Wasser die Flasche und entnahmen daraus eine alte Schriftrolle. Auf dem Pergament stand Folgendes geschrieben: “Passt auf, dass ihr eure Individualität behaltet! Ihr seid so verschieden und schätzt dies aneinander. Hütet diesen Schatz, denn dieser ist das Geheimnis eurer Liebe. Respektiert eure Grenzen! Lernt voneinander, aber versucht nicht, euch gegenseitig umzuerziehen! Entdeckt immer wieder Neues aneinander! Glaubt nie, dass ihr das Geheimnis des anderen gelüftet habt, und achtet einander jeden Tag eures gemeinsamen Lebens!” Feuer und Wasser lasen die Flaschenpost aufmerksam durch und dachten darüber nach. Dann stellten sie die bauchige Flasche gut sichtbar in ihrer gemeinsamen Wohnung auf, um immer wieder an deren Inhalt erinnert zu werden.

                                                                                                                Autor unbekannt

 

Ich habe die Insel gefunden,
den Ort,
wo das Wort,
das Himmel und Welt
im Leben erhält,
aus der Höhe fällt,
aus der Tiefe steigt.
Himmel und Welt
sind in mir jetzt verbunden.
Ich habe meine Insel gefunden.

                                 Silja Walter